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SWP Ulm / Claudia Reicherter 20.02.2019

“The Invisible City” – Ein Surround-Lautsprecherkonzert von Andreas Usenbenz 
© Foto: Volkmar Könneke

Vier lila Lichtsäulen an den schwarzen Wänden in dem ansonsten dunklen Raum erinnern an Kirchenfenster. Die Geräusche an eine Kröte, die Donner schluckt. Schlonzen, Gurgeln, Grollen. Metallisches Klackern. Stapft da einer über Kies? Die Zuschauer sitzen in Zweierreihen im Quadrat um einen kleinen Tisch. Obwohl sie nur wenige Meter trennen, nehmen sie einander allenfalls schemenhaft wahr. Das aufs Hören konzentrierte Erleben ist individuell und kollektiv zugleich.

Als „Oktaphonisches Surround-Lautsprecherkonzert“ hat das Roxy die beiden aufeinanderfolgenden Abende zu „The Invisible City“ am vergangenen Wochenende angekündigt, als „performative Installation“. Fest steht: Diese erste Veranstaltung im zweiten Halbjahr der Reihe „Labor 1/12“ ist ungewöhnlich, erstaunlich und wirkt intensiv.

Am Tisch sitzt, von farbigen Leuchtdioden und gelben, grünen, pinken, blauen Balkendiagrammen auf seinem Laptop und den beiden Tablets beschienen, Andreas Usenbenz. Der 42-jährige Ulmer bewegt nur einen Finger, um Felder auf dem Tablet zu drücken, und damit vorbereitete Tondateien im Computer zu mischen. Der Soundtüftler macht es seinen Zuhörern in dem mit rund 40 Besuchern vollbesetzten Raum nicht leicht, auch wenn er vorab darauf hinweist, was er so treibt – und was ihn antreibt.

Die Töne und Klänge, seit mehr als zehn Jahren etwa mit einem Kontakt-, einem Unterwasser- und einem am Fahrrad befestigten Mikrophon für elektromagnetische Schwingungen in der und um die Stadt eingefangen, hat er für „The Invisible City“ nicht nur aufgesplittet und in ungewöhnlicher Folge arrangiert, sondern vielfach bearbeitet. Dabei kehrt er die Funktion von Tonrestauration schon mal um und hebt das Rauschen vom Rand der Autobahn bei Böfingen noch  mehr hervor statt es zu unterdrücken.

Vom Schnee, der im Wind auf einen Strommast fällt („Man denkt, das ist lautlos, nicht?“), vom singenden Weidezaun, vom Summen der Brennstoffzellen in der Wissenschaftsstadt und dem Rieseln von Getreide durch die Rohre der Schapfenmühle („das kann man ganz wunderbar mit Glocken aus dem Münster mischen“) bleiben nur mehr schwer zu identifizierende Geräuschschnipsel, vom Weihnachtsmarkt-Windspiel-­Klim­pern ein langgezogener Ton. „Wenn am Güterbahnhof ein Zug wegfährt, klingt das fast schon episch“, schwärmt er. Und die VW-Stanzerei in Zwickau – einer von nur zwei nicht aus Ulm stammenden Sounds – sei „brachial, diabolisch und super interessant: die Hölle auf Erden.“ Ganz einfache Klangstrukturen findet der ausgebildete Altenpfleger, der erst mit 30 noch ein Tontechnik-Studium draufgesattelt und sich mit Unterstützung seiner heutigen Frau als Medienproduzent selbstständig gemacht hat, am spannendsten.

Dass das arhythmische Klackern in der Mitte der gut eineinviertelstündigen Improvisation von einem „kleinen Tier unter Wasser im Pfuhler Baggersee“ stammt, darauf kommt der normale Hörer nicht. Aber Usenbenz wollte mit diesem Konzert ohne klassische Instrumente, dafür mit acht kleineren und vier großen Lautsprechern auch keinen „Audio-Guide zu Ulm“ liefern. Sondern „eine einigermaßen fordernde Reise“, wie er am Ende des Abends erklärt.

Die Leute, die sich darauf eingelassen haben, sind begeistert. Davon war der 42-jährige bärtige Mann am Nachmittag bei der Probe noch gar nicht unbedingt ausgegangen. „Ich mache Dinge, die außerhalb der Hörgewohnheiten von Menschen sind“, sagt der zweifache Vater, Musikredakteur einer Sendung bei Radio freeFM, Workshop-Dozent sowie Labelinhaber, der – oft zusammen mit Lichttechniker Andreas Hauslaib – das Kulturleben der Stadt seit Jahren um ungewöhnliche Projekte bereichert. „Das ist nicht für jeden angenehm, ich weiß.“

Im Kopf des Einen bilden sich Wort-Würste, der Andere sieht innerlich einen Tsunami heranrollen, der Dritte stellt sich den Frosch vor, der gerade einem Ur-Gewitter den Garaus macht. Dennoch waren die Reaktionen auf seine Arbeit für die Moving Rhizomes, Strazzeris Tanzcompagnie, das Münsterturmjubiläum oder die Kienlesbergbrücken-Einweihung positiv. Als nächstes steht ein Auftritt am 18. März beim Geislinger Kulturfrühling an. Und fürs Mapping-Festival am Donaucenter zum Jubiläum von Neu-Ulm bereitet er gerade mit Hauslaib seine Bewerbung vor.

andreas usenbenz

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